JOB HUGGING
Wenn Angst die Unternehmenskultur lähmt.
Autor: Peter Müllner - Geschäftsführer von BRAINS AND GAMES
Vom Hopping zum Hugging
Vor wenigen Jahren war „Job Hopping“ das Sinnbild für eine dynamische Arbeitswelt. Menschen wechselten selbstbewusst von Stelle zu Stelle und nahmen Gehaltssprünge mit. Heute sehen wir das Gegenteil: Die Kündigungsrate in den USA ist seit Herbst 2024 unter 2 % gefallen und verharrte dort bis Sommer 2025. Statt Beweglichkeit prägt Zurückhaltung den Markt – viele Beschäftigte halten ihre Jobs fest, auch wenn diese nicht mehr passen.
Ursachen der Zurückhaltung
Dieses „Job Hugging“ ist weniger Ausdruck von Loyalität als vielmehr ein Symptom der Verunsicherung. Daten aus der Global Benefits Attitude Survey von WTW zeigen, dass 72 % der Mitarbeitenden 2025 bei ihrem Arbeitgeber bleiben – ein drastischer Anstieg gegenüber 53 % im Jahr 2022. Gründe dafür sind klar: Lebenshaltungskostenkrisen, ein abkühlender Arbeitsmarkt, Inflationsdruck, geopolitische Spannungen und die Unsicherheit rund um KI.
Auch strukturell fehlen Alternativen. Neue Stellen werden seltener ausgeschrieben, gleichzeitig beherrschen Meldungen über Entlassungen die Nachrichten. Viele Führungskräfte rechnen eher mit Stellenabbau als mit Expansion. Und selbst wenn attraktive Angebote existieren, schrecken Kandidat:innen davor zurück, sich durch langwierige Bewerbungsprozesse zu kämpfen oder das Risiko einzugehen, als Neuzugang bei Umstrukturierungen zuerst betroffen zu sein.
Stabilität – mit Schattenseiten
Aus Sicht der Unternehmen birgt diese Entwicklung Chancen und Gefahren zugleich. Weniger Fluktuation bedeutet Stabilität, geringere Rekrutierungskosten und bewahrtes Wissen. Doch wenn Kündigungsraten zu niedrig sind, drohen Stagnation, Innovationshemmnisse und eine blockierte Entwicklung für jüngere Talente.
Psychologische Folgen
Die psychologische Seite darf nicht unterschätzt werden. Wer nur aus Angst bleibt, liefert oft weniger Energie und Kreativität. Nach außen wirkt es, als sei die Belegschaft stabil. Tatsächlich kann jedoch ein schleichendes Desengagement einsetzen, das in dem Moment sichtbar wird, in dem der Arbeitsmarkt wieder anzieht – dann droht ein plötzlicher Exodus.
Die paradoxe Führungsaufgabe
Führungskräfte stehen damit vor einer paradoxen Situation: Sie haben eine Belegschaft, die bleibt, aber nicht unbedingt aus den richtigen Gründen. Der Schlüssel liegt darin, die Motivation hinter der Bindung zu verstehen. Wer aus Engagement, Kultur und Sinn bleibt, stärkt die Organisation. Wer aus Angst verharrt, schwächt sie langfristig.
Wege aus der Falle
Die Aufgabe der Führung lautet deshalb: Retention mit Entwicklung verbinden. Dazu gehören realistische Karrierepfade, kontinuierliche Weiterbildung und psychologische Sicherheit. Auch Flexibilität – etwa hybride Modelle oder angepasste Arbeitszeiten – wird wieder wichtiger. Und nicht zuletzt geht es darum, Vision und Sinn zu vermitteln, damit Arbeit im größeren Zusammenhang erlebbar bleibt.
Verantwortung der Mitarbeitenden
Für Mitarbeitende selbst lohnt sich ein ehrlicher Blick nach innen: Bringt der Job noch Wachstum und Sicherheit, oder hält allein die Angst vor Veränderung fest? Eine Karriere-Landkarte, Mentoring und der Aufbau neuer Fähigkeiten können helfen, den eigenen Weg aktiv zu gestalten, statt passiv zu verharren.
Fazit: Kultur gestalten statt Angst verwalten
Bei BRAINS AND GAMES erleben wir täglich, wie Organisationen mit den Herausforderungen moderner Arbeitswelten ringen. Job Hugging ist nicht nur ein Arbeitsmarktphänomen – es ist ein Symptom für Organisationen, die ihre Kulturarbeit vernachlässigt haben.
Eine starke Unternehmenskultur motiviert Menschen zu bleiben UND sich zu entwickeln. Sie schafft Psychological Safety, ohne Innovation zu ersticken. Sie bietet Stabilität, ohne Stagnation zu fördern.
Die Frage ist nicht, ob Ihre Mitarbeitenden bleiben. Die Frage ist: Bleiben sie aus den richtigen Gründen?
Jetzt ist der Moment, echte Kulturarbeit zu leisten – bevor aus Job Hugging ein Job Exodus wird.