Leadership ohne Titel
WAs moderne Führung wirklich braucht
Autorin: Jasmin Grünstäudl, MA
Projektleitungen ohne Weisungsbefugnis. Agile Coaches ohne disziplinarische Autorität. Teamsprecher:innen mit enormer Verantwortung, aber ohne formalen Titel.
In vielen Organisationen ist das längst Alltag. Die klassischen Hierarchiegrenzen verschwimmen – und plötzlich stehen Führungskräfte vor Fragen, auf die es keine Standardantworten gibt: Wie führe ich wirksam, wenn mir die formale Autorität fehlt? Welche Kompetenzen braucht es wirklich, um Menschen in unsicheren, dynamischen Kontexten zu bewegen?
Bei BRAINS AND GAMES begleiten wir Unternehmen und ihre Führungskräfte durch genau diese Situationen. Mit Methoden, die funktionieren. Und mit einer klaren Überzeugung: Führung braucht heute mehr denn je Haltung statt Hierarchie.
Warum sich Führung verändert hat
Die Arbeitswelt ist komplexer geworden. Digitalisierung, hybride Arbeitsmodelle, agile Strukturen – Entscheidungen können nicht mehr nur top-down getroffen werden. Zu komplex. Zu schnell verändernd. Und oft haben die Menschen, die am nächsten am Thema dran sind, die besseren Antworten.
Moderne Führung bedeutet deshalb, Mitarbeitende als kompetente Partner:innen auf Augenhöhe zu sehen – als Menschen, die eigenverantwortlich, reflektiert und wirkungsvoll handeln können. Wer in agilen Teams arbeitet, hybride Modelle koordiniert oder in Matrixstrukturen unterwegs ist, kennt das aus dem Alltag.
Das Modell der agilen Führung gibt dafür einen hilfreichen Rahmen. Es basiert auf drei Prinzipien:
Autonomie: Mitarbeitende erhalten echten Freiraum für Entscheidungen – nicht als Geste, sondern weil es notwendig ist.
Gleichberechtigung: Zusammenarbeit auf Augenhöhe – weil die beste Idee zählt, nicht der höchste Titel.
Flexibilität: Iterative, kundenzentrierte Planung – weil starre Pläne in dynamischen Umfeldern nicht mehr funktionieren.
Damit das wirklich gelingt, braucht es mehr als schöne Prinzipien. Es braucht Vertrauen, klare Kommunikation und eine gelebte Feedbackkultur.
Übrigens: Diese Prinzipien vermittle ich auch im WIFI Wien Seminar "Agiles Führen in einem dynamischen Umfeld" – mit praktischen Übungen und echten Fallbeispielen.
Laterale Führung: Wenn formale Autorität fehlt, die Verantwortung aber bleibt
Führung ohne formale Autorität bedeutet, Menschen zu bewegen, ohne Machtmittel einzusetzen. Das heißt: keine Weisungsbefugnis, keine disziplinarischen Konsequenzen, keine offizielle Machtposition. Aber volle Verantwortung für Ergebnisse, Prozesse und Menschen.
Stattdessen:
Einfluss durch Vertrauen.
Klarheit in Kommunikation und Zielsetzung.
Vorbildwirkung durch Haltung.
Das ist laterale Führung – und sie ist in vielen Organisationen zur neuen Normalität geworden. In Projekten, agilen Teams, Matrixstrukturen.
Die häufigsten Fragen in der Praxis:
"Wie schaffe ich Akzeptanz im Team, wenn ich nicht deren Vorgesetzte bin?"
"Wie kläre ich Konflikte ohne disziplinarische Mittel?"
"Wie motiviere ich, wenn ich weder Boni verteilen noch Titel vergeben kann?"
Die Antworten liegen in Beziehungsstärke, Konfliktkompetenz, Selbstsicherheit – und in konkreten Tools, die im Alltag funktionieren.
Was laterale Führung stark macht
Persönliche Autorität statt Positionsmacht
Menschen folgen denen, die Orientierung geben und sich ehrlich für andere interessieren. Die nicht vorgeben, alles zu wissen, sondern die richtigen Fragen stellen.
Rollenklärung als Basis
Was ist meine Verantwortung? Was erwarten andere von mir? Wo liegen meine Entscheidungsbefugnisse? Diese Klarheit schafft Sicherheit für alle Beteiligten.
Offene Kommunikation
Transparent, dialogorientiert, ohne Taktieren. Das schafft Vertrauen, auch wenn schwierige Entscheidungen anstehen.
Konflikte als Entwicklungschance
Wer Konflikte meidet, verliert Einfluss. Wer sie konstruktiv klärt, gewinnt Respekt – auch ohne formale Autorität.
Drei Arten von Autorität – und warum das wichtig ist
Autorität ohne hierarchische Position – wie soll das gehen? Die Antwort liegt darin, Autorität differenzierter zu betrachten.
In der Führungspraxis unterscheiden wir drei Formen:
Strukturelle Autorität
→ Beruht auf hierarchischer Position, Titel oder Weisungsbefugnis ("Kraft meines Amtes")
Fachliche Autorität
→ Ergibt sich aus Erfahrung, Ausbildung und Kompetenz. Menschen folgen, weil sie die Expertise anerkennen.
Persönliche Autorität
→ Entsteht durch Auftreten, Glaubwürdigkeit, Beziehungskompetenz. Menschen folgen, weil sie vertrauen.
In der lateralen Führung treten strukturelle Mittel in den Hintergrund. Umso entscheidender sind fachliche und persönliche Autorität.
Fachliche Autorität entwickeln
Bedeutet nicht, alles wissen zu müssen – sondern in der eigenen Rolle fundierte Kompetenz und Reflektionsfähigkeit zu zeigen. Dazu gehört auch, Fehler einzugestehen, Fragen zuzulassen und Lernbereitschaft zu demonstrieren.
Die richtigen Fragen zu stellen und das Wissen im Team zu aktivieren, bringt oft mehr Autorität als vermeintlich perfekte Antworten.
Persönliche Autorität aufbauen
Diese Form wird aufgebaut über Vertrauen, Überzeugungskraft und authentisches Auftreten. Menschen lassen sich nicht "führen", sie lassen sich gewinnen – durch Klarheit, durch gelebte Werte, durch echte Beziehung.
Ein hilfreiches Konzept ist das Vertrauenskonto nach Stephen Covey. Es speist sich aus vier Faktoren:
Resultate – Liefere ich, was ich zusage?
Fähigkeiten – Verfüge ich über die nötige Kompetenz?
Absichten – Sind meine Ziele nachvollziehbar und fair?
Integrität – Bin ich berechenbar und integer? Stimmen meine Worte mit meinen Taten überein?
Wer in diesen vier Bereichen kontinuierlich "einzahlt", baut ein stabiles Vertrauensfundament auf.
Einfluss durch Netzwerken und Stakeholder-Management
In lateralen Führungssituationen ist die Fähigkeit, Netzwerke zu pflegen und gezielt zu nutzen, oft entscheidend. Besonders bei Projekten, die auf die Mitwirkung verschiedener Bereiche angewiesen sind.
Die entscheidenden Fragen:
Wer sind die Schlüsselpersonen?
Wie binde ich sie frühzeitig ein und gewinne sie für das gemeinsame Ziel?
Welche Interessen oder Einwände gibt es – und wie gehe ich konstruktiv damit um?
Laterale Führung bedeutet nicht, auf Führung zu verzichten. Sie bedeutet, Führung neu zu definieren: als Kunst des Einflusses durch Beziehung, Klarheit und Haltung.
Praktische Tools für laterale Führung
Was hilft konkret? Hier einige bewährte Methoden aus der Beratungspraxis:
Gewaltfreie Kommunikation (nach Marshall Rosenberg)
Ein vierstufiges Modell zur respektvollen und konstruktiven Kommunikation – besonders hilfreich bei Konflikten und sensiblen Themen:
Beobachtung – Was ist konkret passiert? (Ohne Bewertung)
Gefühl – Was löst das in mir aus?
Bedürfnis – Was brauche ich? Was ist mir wichtig?
Bitte – Was wünsche ich mir konkret?
Beispiel:
"Wenn ich sehe, dass Aufgaben unerledigt bleiben (Beobachtung), bin ich frustriert (Gefühl), weil mir Verlässlichkeit sehr wichtig ist (Bedürfnis). Ich bitte dich daher, deine Aufgaben pünktlich abzugeben (Bitte)."
Diese Struktur hilft, aus dem Vorwurfs- und Rechtfertigungsmodus herauszukommen.
Konfliktcoaching mit sich selbst
Eine wirkungsvolle Methode zur Konfliktklärung ohne direkte Konfrontation. Dabei reflektieren Sie den Konflikt aus zwei Perspektiven – Ihrer eigenen und der der anderen Person – anhand der drei Ebenen Denken, Fühlen und Wollen.
Eigene Perspektive:
Was denke ich über die Situation?
Was fühle ich dabei?
Was wünsche oder will ich mir?
Perspektivwechsel (z.B. durch Stuhltausch):
Was könnte die andere Person denken?
Was könnte sie fühlen?
Was könnte sie wollen?
Diese Selbstreflexion schafft Klarheit, reduziert emotionale Aufladung und bereitet konstruktive Gespräche vor – auch ohne formelle Autorität oder Eskalation.
Rollen-Canvas
Strukturiertes Tool zur Klärung von Aufgaben, Verantwortungen, Zielen und Schnittstellen:
Welche Aufgaben gehören zu meiner Rolle?
Welche Verantwortungen habe ich?
Was sind meine Ziele und meine Mission?
Wo sind meine wichtigsten Schnittstellen?
Stakeholder-Mapping
Strategische Übersicht über relevante Personen und Beziehungen:
Wer sind die Schlüsselpersonen für meine Führungsrolle?
Wo brauche ich Allianzen, wo Klarheit?
Wie kann ich andere gut aussehen lassen?
Wie halte ich Geben und Nehmen in Balance?
Check-in/Check-out-Runden & Retrospektiven
Regelmäßige, strukturierte Reflexion unterstützt die Beziehungspflege und schafft Raum für gegenseitiges Lernen.
Beispiele für Check-in-Fragen:
"Wie möchte ich heute aus dem Meeting rausgehen?"
"Auf einer Skala von 1-10: Wie fit fühle ich mich heute für unser Thema – und warum?"
Für Check-outs:
"Was nehme ich aus diesem Meeting mit?"
"Wie war das heutige Meeting für mich? (Skala 1-10 und kurz: warum?)"
Laterale Führung funktioniert dann besonders gut, wenn Führung als soziale Einflussnahme verstanden wird – nicht als Kontrolle. Es geht darum, Orientierung zu geben, Sicherheit zu vermitteln und Energie zu bündeln. Nicht durch Titel, sondern durch Haltung, Klarheit und Dialog.
Fazit: Führung neu denken, wirksam leben
Führung ohne Titel, hybride Kontexte und laterale Verantwortung – all das ist nicht die Ausnahme, sondern die neue Normalität. Wer heute führen will, braucht Haltung, Beziehungskompetenz und Werkzeuge für echte Wirksamkeit.
BRAINS AND GAMES begleitet Unternehmen auf diesem Weg – mit Klarheit, praktischen Methoden und Leidenschaft für Leadership im Wandel.
Sie haben Fragen zu lateraler Führung oder Leadership-Entwicklung in Ihrem Unternehmen?